Ausschweifende Songs für extensives Tanzvergnügen – in den Discotheken finden in den späten 1970ern immer öfter extralange Titel ihren Weg ins Programm der DJs. Die Plattenfirmen sind am Anfang alles andere als begeistert vom neuen Trend.
Text: Chris Hauke
Mit „Lovemachine“ schießen Supermax 1978 durch die Decke. Die Band um den Wiener Bassisten und Sänger Kurt Hauenstein lotet mit der Nummer nicht nur stilistische Grenzen in Richtung Reggae aus, sie widersetzt sich auch den gängigen Grundregeln für Hits – sowohl in den Charts als auch auf den Tanzflächen. Sind bislang noch überwiegend kurze Songs das Maß der Dinge, bietet „Lovemachine“ mit seinen 8:36 Minuten Spielzeit auch den DJs eine willkommene Abwechslung, können sie doch nun auch mal während eines Liedes anderen Bedürfnissen nachkommen. Der Song ist zu lang für eine normale Single und wird daher eine der ersten Maxis.
„Lovemachine“ muss sich eingrooven
In einem Interview erinnert sich der vor vier Jahren verstorbene Hauenstein einst daran, dass ihm die Plattenfirma seine Nummer ausreden wollte: „Sie meinten, das würde niemand spielen, weil es zwei Minuten dauert, bis die Nummer anfängt. Damals war die Norm noch drei Minuten. Alles, was länger war, wurde nicht gespielt.“ Doch der Österreicher lässt sich damals nicht beirren und folgt seinem Gefühl als Musiker: „Ich hab da überhaupt nicht nachgedacht. Wenn du einen Groove spielst, brauchst du eine gewisse Zeit, um reinzukommen und in Trance zu verfallen.“ Das Resultat ist ein Welthit.
„Relight My Fire“ in voller Pracht
Eine ähnlichen Einstieg gewährt Dan Hartman seinem Song „Relight My Fire“ aus dem Jahr 1979. Der Klassiker startet in seiner knapp zehn Minuten langen Version mit einem dreiminütigen Vorspiel namens „Vertigo“, bei dem sich Tanzwütige eingrooven können, bevor Hartman ab Minute vier mit dem Gesang beginnt. Dass der Song trotz seiner Länge nie langweilig wird, ist auch Loleatta Holloway zu verdanken, die die Nummer im letzten Drittel mit ihrem charismatischen Einwurf „Strong enough to walk on through the Night“ auf ein neues Level hebt. Die Coverversion von Take That aus dem Jahr 1993 setzt Hartman und Holloway ein Denkmal, kommt aber an das Original nicht heran. Am erneuten Erfolg seines Songs – und den damit verbundenen Tantiemenzahlungen – kann sich Hartman allerdings nicht lange erfreuen. Er stirbt nur ein Jahr später an einem von Aids verursachten Gehirntumor.
Skandal um „Love To Love You Baby“
Den Gipfel der musikalischen Ausdauer indes besteigt der gebürtige Südtiroler Giorgio Moroder, der den Discosound und damit die gesamte elektronische Musik prägen sollte wie kein Zweiter. Die internationale Bildfläche betritt er Ende 1975, und das gleich mit einem handfesten Skandal: Als Mitkomponist ermutigt er Donna Summer, beim Song „Love To Love You Baby“ alle Hemmungen fallen zu lassen und ausdauernd lasziv zu stöhnen. Etwas derartig Anrüchiges hat man bis dato nicht gehört – und soll man auch nicht, denn zahlreiche Radiosender boykottieren Summers erotische Atemübung. Da hilft auch die kompatible Verkürzung auf 3:21 Minuten nichts. Das Original lotet mit 16:50 Minuten noch ganz andere Grenzen aus – und das nur, weil eine Person nicht genug davon kommen kann: Neil Bogart. Als der Chef von Casablanca Records, Summers Plattenvertrieb in den USA, ein Tape des Songs bekommt, spielt er es auf einer Party in seinem Haus wieder und wieder ab. Am liebsten will er die Nummer auf 20 Minuten ausgedehnt haben. Moroder gibt seinem Wunsch nach. Zumindest fast.
„Lovemachine“, „Relight My Fire“, „Love To Love You Baby“ und viele andere XXL-Hits der 70er bietet die disco-Zusammenstellung „The Long Versions“ auf 3 CDs.
- › Erhältlich bei:
CD 1
1. D.I.S.C.O. – Ottawan
2. A Walk in the Park – Nick Straker Band
3. Y.M.C.A. – Village People
4. Born to Be Alive (Original 12″ Version) – Patrick Hernandez
5. I Was Made for Loving You – Kiss
6. Let’s All Chant (Maxi Version) – Michael Zager Band
7. Can You Feel It – The Jacksons
8. Disco Nights (Rock Freak) (12″ Version) – G.Q.
9. Vertigo / Relight My Fire – Dan Hartman feat. Loleatta Holloway
10. Rasputin (Maxi Version) – Boney M.
11. Que Sera Mi Vida – The Gibson Brothers
12. The Best Disco in Town – The Ritchie Family
CD 2
1. Spacer (12″ Version) – Sheila & B. Devotion
2. Rapture – Blondie
3. Lovemachine – Supermax
4. Fashion Pack (Studio 54) – Amanda Lear
5. You Know How to Love Me (Long Version) – Phyllis Hyman
6. Play That Funky Music – Wild Cherry
7. Rock the Boat – The Hues Corporation
8. Yes Sir, I Can Boogie – Baccara
9. I Can’t Go for That (No Can Do) (Extended Club Mix) – Daryl Hall & John Oates
10. Fantasy (Shelter DJ Mix) – Earth Wind & Fire
11. Never, Never Gonna Give You Up – Barry White
12. Listen to the Music (2006 Remstered Version) – The Doobie Brothers
CD 3
1. S.O.S. – Agnetha Fältskog
2. Oh Susie – Secret Service
3. Mamy Blue (Deutsche Version) – Ricky Shayne
4. Teenage Dream – T. Rex
5. Jingo (Album Version) – Santana
6. From the Sun to the World (Boogie #1) (aus dem Tatort ‘Schweigegeld’) – Electric Light Orchestra
7. Lucifer – The Alan Parsons Project
8. Also sprach Zarathustra – Deodato
9. Love to Love You Baby (Come on over to My Place Version) – Donna Summer
10. Ich bin wie Du (Remix ’90 Maxi Version) – Marianne Rosenberg
11. Ich weiß, was ich will (Extended Version 2006) – Udo Jürgens
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